Translations:Henriette Eckart (Da VII 1)/6/de
Nachdem auch Onkel Philipp, dem sie nach dem erfolgten Tod seiner Frau weiter den Haushalt führte, gestorben war übersiedelte sie von Altenburg nach Nürnberg zu dessen Tochter, ihrem lieben Patenkinde Henriette Reuter, die nach dem Tode ihres Mannes dort ein Tee- und Kaffeegeschäft betrieb, um dem Hauswesen vorzustehen und die unmündigen Kinder zu versorgen. Dieses Geschäft konnte nicht hochkommen und wurde nach kurzem Bestand wieder aufgegeben. Jette Reuter, die ihre Kinder teils in Schulen, teils in Lehren untergebracht hatte, kam zuerst nach Niederaltenburg, wo sie eine Pension führte, dann zur Führung des Haushaltes zu Onkel Fritz nach München, Tante Jette kam zu uns, wo sie bis zu ihrem Tode blieb. Während dieser Jahre haben wir heranwachsenden Kinder sie noch ganz besonders schätzen und lieben gelernt. Ihr feiner, nie versagender Takt, ihre durch und durch vornehme Gesinnung, ihr seltener Verstand und ihre Güte schufen ihr überall Freunde und ihre Stube mit den traulichen, von ihrer Mutter ererbten Biedermeider-Möbeln war oft voll von Besuchen. Als die Vertraute von so vielen Familienmitgliedern hat sie zahlreiche Menschenschicksale geschaut, ist die einfachen wie die verworrensten Wege in liebevoller Teilnahme mit ihnen gegangen, dass ihr nichts Menschliches fremd war. Sie, die unvermählt geblieben, hatte Verständnis, Rat und Trost für jedes Leid. Ihr eigentlich unschönes Gesicht, das durch einen Schnurrbart noch besonders entstellt wurde, gewann allgemeine Sympathie durch den Ausdruck von grosser Intelligenz und Güte. Ohne viel Worte zu machen – denn nach Art der Eckarts lag ihr das nicht – fand sie stets die richtige Art Trost zu spenden und jeder, der ein schweres Herz ihr leerte, ging ruhiger von ihr. Wem ihre lieben schönen Hände in fast scheuer Weise – denn auch äussere Zärtlichkeitsbezeugungen waren ihrer herb-jungfräulichen Art nicht gelegen – über den Kopf strichen, der war sich so viel treuer teilnahmsvoller Liebe bewusst, dass er sich am richtigen Platze fand. Rückblickend bewundere ich heute das Verständnis, das die Hochbetagte der damals in den Kinderschuhen sich befindlichen Frauenbewegung entgegenbrachte, die bei bedeutend jüngeren Personen auf den stärkeren Widerstand gestossen und für deren Entwicklung die Siebzigerin die innigsten Wünsche hegte.